Vermag ein Bild auch mehr als tausend Worte zu sagen, so fehlt einem Bild vom Anklamer Stadtbruch in jedem Falle doch der Klang: das Rufen der Kiebitze und Kraniche, das Schnarren der Kormorane und Pfeifen der Limikolen, das ferne Röhren der brünftigen Hirsche, das Säuseln des Schilfs und die beeindruckende Stille, die über dem Moor liegt, wenn die Kraniche auf die Äcker davongezogen sind.
– Episode Eins –
Morgenspaziergang am Mühlgraben
Die Welt wird nun vertikal. Sichtachsen und Schneisen lenken das Auge, mal hin zum Licht an ihrem Ende, mal in die Verborgenheit des Dickichts.
Es ist, als öffnete sich ein Vorhang, und all die Schönheiten, die man vorher nur flüchtig oder gar nicht wahrgenommen hat, springen einen geradezu an, als wäre das Auge plötzlich scharf gestellt.
Sicher, jetzt stehe auch ich hier und mache Fotos und kleine Filmsequenzen. Während des Tages habe ich keinen von ihnen gesehen. Nicht am Turm, nicht auf dem alten Bahndamm Richtung Kamp, oder am Peenestrom, auch nicht im Wald oder entlang der Rosenhäger Beck. Das ist schade, denn es zeigt, dass es hier für sie nichts Interessanteres oder Lohnenswertes zu geben scheint, als das „große Spektakel“. Am Abend sind sie da, pünktlich zum Sonnenuntergang. Sie reihen sich entlang des Radwegs wie Perlen auf einer Schnur, mit großen Teleobjektiven, mit denen man bis in die Mondkrater blicken kann. Manche bringen so viel Technik mit, dass sie ihren Kombi gleich auf dem Weg parken müssen, direkt neben dem Polder. Dazu Klappstühle, Freunde, Bier. Der Kranich verkommt zu einem Objekt der Begierde. Und das, wo wir doch wissen, was geschieht, wenn der Mensch etwas begehrt.
In der leergeräumten Natur fühlen sie sich so allein, daß sie sehnsüchtig die schrumpfenden Reste ungestörter Wildnis aufsuchen. Die „Jagd“ mit der Kamera kann dann ebenso beunruhigen wie die mit der Schußwaffe, zumal sie ohne Jägerprüfung ausgeübt wird, ohne Regeln und Rituale, oft ohne Respekt und Ehrfurcht, nur um der Beute willen: Schaut, was ich Rares entdeckt, beobachtet, eingekastelt habe!
Von der Gefahr des Ökotourismus und dem schmalen Grat zwischen Naturliebhaber und Ausbeuter schreibt Barbara von Wulffen auf ihre komplexe, kluge und doch unaufgeregte Art in Von Nachtigallen und Grasmücken (S. 336)
– Episode Drei –
Entdeckungen im Polder
Der Himmel war heute Morgen verschleiert von dünnstem Gold, selbst der weiße Wolkenfilm flirrte golden. Birken, Gras, Ebereschen angedorrt und gebleicht nach der langen Trockenheit, aber heute sah es aus wie Spuren von Gold.
Über einen Morgen im September aus Claudia Kopperts wunderbaren ErzählungenIm Vogelgarten (S. 128)
Auf der Straße von Kamp nach Bargischow geht es zurück bis zur Mündung der Rosenhäger Beck in den Peenestrom. Auf der Straße liegt eine Ringelnatter eingerollt auf dem warmen Asphalt, als würde sie schlafen. Die Postfrau kommt von Kamp herangefahren, hält an und schaut zu, wie ich die Schlange an den Straßenrand bugsiere. Sie guckt betroffen. Vielleicht, weil sie nicht ausschließen kann, dass sie vor ein paar Minuten mit ihrem T5 über das Reptil gerauscht ist, als sie die Post nach Kamp brachte. Sie ist überrascht, als sie hört, dass entlang der Straße auch Kreuzottern lagen. Aber dann überlegt sie und zählt einige der Tierarten auf, die im Schilfsaum am Peenestrom und im Polder auf der anderen Seite der Straße leben: Wildschweine, Füchse, Kraniche, Rehe… Unerwartete Artenvielfalt? Abends in Bugewitz bei einem Bier in der Dorfgaststätte erzählt Günther Hoffmann auch von Fischottern. Er ist jeden Tag im Stadtbruch unterwegs als Naturführer und vor allem als Beobachter. Zerknirscht ist er wegen des toten Fischotters, den er tags zuvor bei einem Streifzug fand. In dem Örtchen Kamp wohnt eine Handvoll Menschen am Ende einer Sackgasse. Dass die Tiere dem Durchgangsverkehr zum Opfer fallen, ist unwahrscheinlich. Eher ist der wachsende und rücksichtslose Verkehr, den manche Naturbeobachter und Fotografen mit sich bringen, dafür verantwortlich zu machen.
Alle Zitate mit freundlicher Genehmigung der Verlage.
Mehr Blogbeiträge
Mein erster Beitrag zum Anklamer Stadtbruch erzählt von meinem Besuch dort im April 2019. Außer dem Umstand, dass es damals Frühling war, machte es einen Unterschied, dass kaum Kraniche da waren. Dafür war Ostern und auch da kommen Menschen auf seltsame Ideen in der Natur. Wie lohnenswert ein Frühlingsbesuch ist, welche Touren man machen und weshalb man Bugewitz einen Besuch abstatten sollte, kann man ebenfalls darin lesen.
Wunderbare Bilder der Wasser- und Moorwelt, war gleich wieder begeistert und in Gedanken dort.
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Herzlichen Dank! Es ist ein Ort voller Schönheit und mich freut es, dass der Beitrag das zu vermitteln vermag.
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