„Vor ungefähr vier Jahren bekam ich eine E-Mail mit einem Anhang von einem jungen Illustrator aus Belgien. Ob ich mir vorstellen könnte, etwas von seinem Material in meinem Naturmagazin Roots zu verwenden. Ein Blick auf die Abbildungen genügte, um zu wissen, dass ich da etwas ganz Besonderes vor mir hatte.“
Mit diesen Worten beginnt das Vorwort von Fanny Glazenburg, der Chefredakteurin der niederländischen Naturzeitschrift Roots (Seite 6). Die Begebenheit, welche sie darin schildert, war wohl 2013 gewesen.
In den darauf folgenden Jahren erschien dann tatsächlich in jeder Ausgabe der Roots das Porträt eines Greifvogels oder einer Eule. Die Illustrationen stammten von dem belgischen Grafiker Joris De Raedt, jenem jungen Grafikdesigner, der die E-Mail geschrieben hatte. Die Fachkompetenz steuerte der langjährige Roots-Redakteur und Vogelexperte Paul Böhre bei.
Die entstandene Serie wurde sehr erfolgreich und nach vielen Anfragen, erschien im März 2017 schließlich die niederländische Buchversion „Roofvogels en uilen: van Noordwest-Europa“.
Das Buch besticht tatsächlich vor allem durch die Illustrationen von De Raedt, die man ohne Übertreibung als einzigartig bezeichnen kann. Er arbeitet nicht nur mit akkuraten Tierdarstellungen, sondern auch mit Piktogrammen, Karten, schematischen Zeichnungen von Flügeln, Krallen, Federn und Eiern sowie Flugbildern, Größenvergleichen oder anatomischen Einzelheiten.
Aus: „Greifvögel und Eulen – Die Arten Nordwesteuropas“ von Paul Böhre und Joris De Raedt, Kosmos Verlag, 2008. Abbildung: Seiten 132/133.
Die Zeichnungen sind so detailliert und lebensecht, dass man sie auf den ersten Blick für Fotografien halten könnte. Nicht zu Unrecht taucht in manchen Rezensionen zum Buch auch das Wort „Kunstwerk“ auf.
Die interessante und vielseitige Arbeitsweise von Joris De Raedt lässt sich bestens auf seiner Homepage entdecken. Dort stellt er nicht nur Grafiken und Illustrationen vor, sondern auch Filme und Fotografien.
Der Belgier arbeitet hautnah an seinen Objekten, recherchiert und fotografiert in der freien Natur und in Archiven von Naturkundemuseen. Bereits dort entstehen aufwendige Skizzen, die er anschließend am Computer digitalisiert und weiter bearbeitet. So macht er sich neben seinem enormen Talent auch die Technik zunutze. Was er dabei erschafft, ist ein unverwechselbarer Stil – sein Markenzeichen.
Es braucht einen zweiten, langen Blick ins Buch, um auch die inhaltlichen Beiträge von Paul Böhre schätzen zu lernen. Auf über 200 Seiten beschreibt der Hobbyornithologe und Vogelführer ausführlich 25 Greifvögel und 11 Eulen, gibt Tipps zur Vogelbeobachtung, zur Anatomie der Vögel und den Gelegen der behandelten Arten.
„Wer zum ersten Mal eine Sumpfohreule im Fernglas zu sehen bekommt, wird das Bild nicht so schnell wieder vergessen: Die strengen, gelben Augen schauen glatt durch einen durch, die schwarze Maske im Gesicht hinterlässt zugleich einen tiefen Eindruck.“
-Paul Böhre
Was mir sehr gefällt, ist die ehrfürchtige, fast schon liebevolle Art, mit der Böhre die Vögel umschreibt. Er informiert nicht über sie, sondern er erzählt von den Vögeln, ganz lebendig, erfahren und authentisch.
„Es kann übrigens tatsächlich ein Problem sein, wenn man aus Zufall in die Nähe eines Sumpfohreulennests kommt, denn es kann dann leicht passieren, dass der Vogel mit enormer Geschwindigkeit direkt auf einen zufliegt.“
-Paul Böhre
Aufgrund der einfachen und mitunter sehr gefühlvollen Sprache Böhres, seiner kurzweiligen und klaren Präsentationen und den wunderbaren Bildern De Raedts eignet sich das Buch fantastisch für Kinder ab dem Grundschulalter und sogar den jüngeren kann man durch die eindrucksvolle Bebilderung schon allerhand erklären.
„Es ist dann angebracht, sich zu bücken und sich schnell in Sicherheit zu bringen.“
-Paul Böhre
Alle Zitate von Paul Böhre aus dem Kapitel „Die furchtlose Sumpfohreule“, Seite 198.
Dazu kommt, dass es im Buch Elemente gibt, die zum Ausprobieren und Nachforschen einladen: So lässt sich der Ruf der Waldohreule durch Blasen über einen Flaschenhals imitieren. Der Steinkauz ziert die Rückseite der griechischen Euromünze. Und hin und wieder tauchen im Buch Hinweise zu Links auf, mit denen sich auch im Internet noch mehr über die beschriebene Art erfahren lässt.
Die erste Auflage in deutscher Sprache erschien im Februar 2018 im Kosmos Verlag als gebundene Ausgabe mit 256 Seiten. Auf 93 Farbtafeln enthält das Buch hunderte bunter und einfarbiger Zeichnungen.

Das Buch ist ein hervorragendes Nachschlagewerk, mit einem Datenblatt zu jeder vorgestellten Art, Erläuterungen zu Vorkommen und Lebensweise sowie Wissenswertem zum Verhalten und der Beobachtung der Tiere. Trotzdem mag es nicht wirklich als reines Lexikon durchgehen, dafür ist es zu verspielt, zu bunt, zu lebendig. Es ist ein Buch für Liebhaber und zum Liebhaben. Ein Buch, dessen Seiten man langsam blättert und zärtlich glattstreicht. Ein Buch, dem man die lange Arbeit und große Hingabe zum Detail auf Schritt und Tritt anmerkt.
Es ist aber auch ein Buch, das es schafft, Sehnsucht zu vermitteln. Es macht Lust einerseits auf die Begegnung mit Greifvögeln und Eulen, und andererseits auf das Forschen selbst, das Sammeln von Informationen, das Suchen und Begreifen von Zusammenhängen. Und auch darum ist es nicht nur ein Buch für interessierte Erwachsene oder passionierte Vogelbeobachter, sondern eben gerade für Kinder und Jugendliche, die ein Stück Natur kennen lernen wollen.
Datenblatt
Titel: Greifvögel und Eulen. Die Arten Nordwesteuropas
Autor: Paul Böhre
Illustrator: Joris De Raedt
Einband: gebundene Ausgabe, 256 Seiten
Auflage: 1., erschienen am: 08.02.2018
Verlag: Franckh-Kosmos Verlags GmbH & Co. KG
ISBN: 978-3-440-15932-3
Alle Abbildungen und Zitate mit Genehmigung des Verlags.
Links
„Greifvögel und Eulen – Die Arten Nordwesteuropas“ von Paul Böhre und Joris De Raedt
Das Buch beim Kosmos Verlag.
Offizielle Homepage von Joris De Raedt
Auf der Homepage des Grafikdesigners betritt man eine Welt voller großartiger Zeichnungen und Fotografien rund um die Natur. Neben Abbildungen aus dem Buch zeigt De Raedt hier aber noch viele andere Arbeiten.
Nach seinem Studium an der Antwerpener Kunstakademie arbeitete er neben Roots für das National Geographic Magazine und internationale Organisationen und Einrichtungen. Markant an seinen Arbeiten ist die Parallele zu den naturalistischen Zeichnungen von Humboldt, Catherwood und anderen Wissenschaftlern des 19. Jahrhunderts, nur dass sie noch klarer und puristischer erscheinen.
Homepage des Roots Magazine (auf Niederländisch)
Die 1972 erstmals erschienene Zeitschrift (damals unter dem Namen Grasduinen) ist ein Naturmagazin, das zwölf Mal jährlich in den Niederlanden und Belgien erscheint. Zusätzlich gibt es zweimal im Jahr eine Spezialausgabe Vogel. Das Magazin erscheint auf Niederländisch.